Interview mit Eugen Drewermann, Theologe und Psychoanalytiker |
GEO: Herr Drewermann, was sind Engel? |
GEO: Worin beseht der Mangel, der das
offenbar riesige Bedürfnis nach Engeln auslöst? DREWERMANN: Paradoxerweise glauben heute viel mehr Menschen an Engel als an Gott.In meinen Augen hat das damit zu tun, dass der überkommene, fast monopolistisch verwaltete Kirchenglaube mit all seinen Dogmen den Menschen so ängstigend und ferngerückt erscheint, dass sie gewissermassen einen intimen Trost brauchen. Und den liefert ihnen die Vorstellung einer ganz und gar persönlichen Zuwendung von Schutz, von Begleitung, von Halt und Geborgenheit. Genau die Elemente, die im Kirchenglaube weggeredet wurden, des Engelglaubens wieder ins Bewusstsein. |
GEO: Aber ist das nicht
ein sehr beliebiger Glaube, der sich je nach Bedarf seine Engel wie
im Supermarkt zusammensucht?
DREWERMANN: Ich glaube, wonach
die Leute suchen, ist gerade nicht das Beliebige, sondern Orientierung
in ihrem Leben. Der Engel in der Modere ist, anders als in den vergangenen
Jahrhunderten oder sogar Jahrtausenden, ganz nah bei der Erfahrung der
Liebe angesiedelt. Der Wendepunkt für dieses Engelverständnis liegt
im Jahre 1521, als Martin Luther auf der Wartburg die Anfangskapitel
des Lukas- Evangeliums übersetzt. Luther steht vor der Frage, in welcher
Sprache der Engel Gabriel, der in Nazareth dem jungen Mädchen Maria
begegnet, reden soll. Jeder Katholik unter den Lesern des GEO- Heftes
wird wissen, was der Engel sagt, denn er hat es dreimal am Tage zu beten.
"Gegrüsst seist du, Maria, voll der Gnade." Genau. Aber Luther spürt
beim Übersetzen, dass "voll der Gnade" nicht dem Urtext entspricht.
Und die Wendung "gegrüsst seist du" ist ein Passivdeutsch, das der Umgangssprache
fremd ist. Luther schreibt später: "Ich hätte sagen sollen (aber dann
hätten die Katholiken vor Wut sich aufgehängt): Es grüsst dich Gott,
du liebe Maria." Das soll heissen, selbst wenn ein Engel von Gott zu
einem Menschen kommt, wird er nichts anderes reden als in der Sprache
der Liebe, und seine Sprache ist, wenn es mit rechten Dingen zugeht,
keine andere als die von Verliebten in den Gassen von Erfurt oder Wittenberg.
Diese Erkenntnis Luthers ist ein Meilenstein für das Verständnis der
biblischen Botschaft. Es gibt keine sakrosankte Gottesheiligtums-Sprache
mehr, die von Gottesexperten im Stand von Theologen oder Kirchenrechtlern
verwaltet wird.
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GEO: Was können Engel, was die Kirche nicht
kann? DREWERMANN: Sie vermitteln ein intensives Gefühl, in dem Menschen sich finden können und aneinander halten. Und wo dieses Wunder passiert, ist der Raum umweht von etwas Himmlischem. Oder wie es Rainer Maria Rilke ausgedrückt hat: Engel sind der untere Rand des Schönen, das wir gerade erst begreifen. Das ist, was die Leute, ob sie gläubig sind oder nicht, mit der Vorstellung eines Engels verbinden. |
GEO: Das klingt, als wären
Engel zu einer Art Kuscheltiere geworden, zu Boten der Liebe, die auch
ohne ihren göttlichen Absender funktionieren?
DREWERMANN: Ja, im modernen Verständnis haben sie sich von Gott losgelöst, der den Menschen offenbar weit entrückt ist. Die biblischen Engel hingegen waren niemals eigenständige Geistwesen oder Gestalten. Der Malach, wie Gott seinen Gesandten nannte, verkörperte immer einen bestimmten Aspekt des Absoluten. Das Göttliche wurde sichtbar, wenn der Engel zum Menschen sprach, in Stunden seiner Verzweiflung, seiner Haltlosigkeit, seiner Suche nach Sinn, seines Empfindens, am Ende zu sein. |
GEO: Warum ist der Glaube an Schutzengel so
beliebt? |
GEO: Und das service- orientiert
und vollkommen kirchensteuerfrei....... DREWERMANN: Es gibt auch eine tiefere Dimension. Wie kann ein Mensch in seiner Angst Es aushalten, nur Mensch zu sein? Dazu braucht es den Schutz eines Engels. Hierfür steht der Erzengel Raphael, der mir am allerliebsten ist, und "Nur Gott kann heilen." Es ist die Erinnerung daran, dass Religion und Psychotherapie eine Einheit bilden können. Raphael verkörpert die therapeutische Funktion der Religion. |
GEO: Aber driftet der Engelglaube
im Alltag nicht schon längst ins Triviale ab? DREWERMANN: Das ist ja das bedauernswerte. Manchmal kommt mir das so vor, als wäre all der niedliche himmlische Heerscharenchor das perfekte Gegenstück zum verknöcherten vatikanischen Kardinalskollegium. Den Menschen ist es beinahe egal, ob sie an die Lourdes-Madonna glauben oder an Schutzengel oder an den Heiligen Florian oder an was auch immer. Woran sie glauben möchten, ist, dass ihr so verlorenes Leben umfangen und behütet ist. |
GEO: Hat der Engelglaube überhaupt
noch etwas mit Religion zu tun? DREWERMANN: Nicht mehr in seiner trivialisierten und kommerzialisierten Form. Die authentische Religion ist sprachlos geworden, und die Menschen suchen den Glauben in allen Richtungen; wie Kletterpflanzen, für die kein Spalier vorgesehen ist. Nachdem die Menschen aufgehört haben, an den Kirchengott zu glauben, scheint es ihnen überaus wahrscheinlich, dass im Weltall lauter göttliche Wesen hausen, die ihnen aus der Patsche helfen würden. Wir machen uns zwar alle Krisen auf dem Planeten selber, aber der Wahn spukt, dass irgendwann überlegene Intelligenten kämen und uns von den Folgen unserer Ungeistlichkeit befreien würden. |
GEO: Sind Engel immer jung und
schön? DREWERMANN: Ich habe auf Bildern noch nie einen alten Engel gesehen. Mir scheint es wunderbar, dass in dem Buch Tobit der Engel Raphael einem altgewordenen zerbrochenen Mann die Augen wieder zu öffnen vermag durch die Kraft der Liebe. Man kann diese Dinge ruhig übertragen auf Goethes Märchen aus dem Jahre 1795. Da ist es eine alte Frau, die durch ihre Liebe sich im Fluss verjüngt und ihrem Mann, der alt geworden ist, zu einer neuen Jugend verhilft. Von Engeln sollte die Kraft ausgehen, auf eine Art zu lieben, die verjüngt und das Altern erträglich macht. |
GEO: Brauchen wir Engel? DREWERMANN: Als Psychoanalytiker und Theologe würde ich mal nein sagen: Ja! Der Engel verkörpert die Urgestalt, das eigentliche Bild des menschlichen Wesens, das, was uns ausmacht. Jeder von uns trägt in sich ein bestimmtes Bild, einen bestimmten Ton, ein bestimmtes Wort, das er zum Gemälde, zur Symphonie, zum Gedicht ausgestalten muss. Nur dafür lebt er. Ein Mensch, der begreift, wozu er da ist, wäre nach mythologischer Sprachweise begleitet und geführt von seinem Engel. Da steht etwas hinter ihm, was ihm nicht vorschreibt, was er zu tun hat, aber was ihn bestärkt in dem, was er ist. |
GEO: Einige Menschen behaupten
von sich, sie wären einem Engel aus Fleisch und Blut begegnet. DREWERMANN: Schwer zu sagen, was in diesen Fällen abläuft. Aber wenn jemand tatsächlich erklärt, dass er einen Engel gesehen hat und nimmt es nicht symbolisch, sondern objektiv, konkret, wörtlich, dann bin ich sehr geneigt, ihn für am Rande der Psychose gefährdet zu halten. |
GEO: Und was ist mit denen, die
noch nie Engel gesehen haben? DREWERMANN: Die sind vermutlich gut dran. Sie und ich zum Beispiel werden in der Zeit unseres Gesprächs nicht daran gedacht haben, dass es Sauerstoff gibt, aber von ihm reichlich Gebrauch gemacht haben, bei jedem Wort, was wir redeten. Das ist ein gutes Zeichen dafür, dass unser beider Lungen einigermassen gesund sind. Vielleicht geschieht ja das Wirken der Engel genauso unsichtbar. |
Aus dem GEO entnommen
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